Geschichte

Die Entwicklung des Elektronenstrahls zum Multitool

Als J.J. Thomson bei seinen Arbeiten mit Kathodenstrahlen an der University of Cambridge Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal das Elektron als Materieteilchen mit negativer Ladung identifizierte, hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass dieser Begriff[1] einer der in den Wissenschaften am weitesten verbreiteten werden wird.

 

Ebenso hätten sich seine Entdecker sicher nie träumen lassen, wie seine gezielte Anwendung das Alltagsleben in hohem Maße verändert hat. Ganze Industrien, wie Elektronik und Mikroelektronik tragen seinen Namen. Weder Computer noch moderne Kommunikation oder das Internet wären ohne die gezielte Nutzung der Eigenschaften des Elektrons denkbar.

 

Aber auch als Werkzeug ist das Elektron von großem Nutzen. Das gilt besonders für beschleunigte, zu einem Strahl fokussierte Elektronen. Elektronen scannen Oberflächen und liefern optische Informationen im Nanometerbereich, die die Wissenschaft in den letzten 80 Jahren enorm weitergebracht haben. Elektronenstrahlen wurden in der Vergangenheit auch zur Bilderzeugung verwendet. Außerdem werden mit der Wirkung von Elektronenstrahlen verschiedene Metalle miteinander verbunden, Oberflächen gehärtet, Kunststoffe verändert.

 


[1] (der sich übrigens von dem griechischen Namen für Bernstein ableitet, weil sich dieses Material beim Reiben besonders stark auflädt)

Mit Elektronstrahlen können auch hochschmelzende Metalle wie Titan, Wolfram, Tantal effizient erschmolzen und gereinigt werden. Oder es können Metalle und Keramiken durch Verdampfung als Funktionsschichten auf verschiedensten Trägermaterialien aufgebracht werden. Insbesondere die letztgenannten Anwendungen sollen in diesem Artikel näher betrachtet werden - in Verbindung mit der Arbeit von Manfred von Ardenne in Dresden. Auch wenn Marcello von Pirani sich bereits 1905 das Schmelzen von refraktären Metallen (in dem Falle Tantal) mittels fokussierter Kathodenstrahlen patentieren ließ, so hatten diese Erkenntnisse zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Nutzeffekt. Das lag daran, dass zu diesem Zeitpunkt weder wirksame Hochvakuumpumpen noch Hochleistungs-Elektronenstrahlsysteme für eine industrielle Nutzung zur Verfügung standen. Dazu waren erst die umfangreichen Entwicklungen in der Elektronenoptik zur Formung des Elektronenstrahls in den 1920er und 1930er Jahren nötig. Diesewurden durch die Entwicklung der Transmissionen-Elektronenmikroskopie durch Ernst Ruska, Max Knoll, und Manfred von Ardenne vorangetrieben.

Gleichzeitig weckten die Anwendungen der Röntgenstrahlen und Entdeckung der kosmischen Strahlung und dem damit verbundenen Wunsch nach Versuchen mit hochenergetischer Strahlung auch das Bedürfnis nach hochenergetischen Energiequellen. 1929 erreichte van de Graff mit seinem nach ihm benannten elektrostatischen Bandgenerator Beschleunigungsspannungen von 1,5 MeV. Einen Generator dieses Typs nutzte auch Manfred von Ardenne für Experimente zu Neutronen in seinem damaligen Laboratorium für Elektronenphysik in Berlin-Lichterfelde. Nach wie vor war bei der thermischen Emission das begrenzende Element die Raumladung vor der Kathode, die Emissionsströme über 1 mA verhinderte. Erst 1939 wies John Pierce – in Verbindung mit dem 1926 von Rogowski beschriebenen 3-Elektronen-System – einen Weg, die Feldgeometrie mittels konischer Elektrodengeometrien so zu beeinflussen, dass auch bei einer großen Raumladung eine signifikante Elektronenemission möglich wurde.

Die Entwicklung der Elektronenstrahltechnik bei Von Ardenne

Am Ende des zweiten Weltkriegs waren alle Hilfsmittel bekannt, um mit der Elektronenstrahlmetallurgie zu beginnen. Aber erst 20 Jahre später begannen sich industrielle Lösungen für das Elektronenstrahlschmelzen, -verdampfen und -schweißen durchzusetzen.

 

1950 wurde zunächst das Elektronenstrahlschweißen mehr oder weniger per Zufall im Elektronmikroskop-Labor von Zeiss entdeckt. K.H. Steigerwald beschrieb daraufhin das Bohren von kleinen Löchern und die Metallbearbeitung als mögliche Anwendungen des Elektronenstrahls. Dies hatte schon 1938 Manfred von Ardenne in einem Patent beschrieben, zusammen mit von Borris und Ruska. Er ging davon aus, dass Mikrobearbeitungen mittels eines Strahls aus geladenen Teilchen möglich sein sollten.

In den 1950er Jahren sorgte die Fokussierung auf die Entwicklung der Raumfahrt und der Kernforschung für deutliche Fortschritte auf diesem Gebiet.

Hochreine Metalle wurden dafür benötigt, die nach Schmelzverfahren unter extremen Vakuumbedingungen verlangten. Lichtbogen- und Induktionsöfen kamen dabei an ihre Grenzen. In dieser Zeit wurden die ersten leistungsfähigen Elektronenstrahlkanonen entwickelt, die zunächst noch an Elektronenmikroskope erinnerten.

 

Die ersten axialen EB-Kanonen litten jedoch noch unter verschiedenen Problemen. So führte die Ablagerung des bei der Schmelze entstehenden Dampfes schnell zu Kurzschlüssen auf den Isolatoren. Eine entscheidende Verbesserung wurde hier erreicht, als man erkannte, dass der Strahldurchmesser so weit reduzierbar ist, dass die Austrittsöffnung als Druckstufe verwendet werden kann, um die Isolatoren vor dem Metalldampf zu schützen.

Heutige Hochleistungs-Elektronenstrahler besitzen mehrere dieser wassergekühlten Druckstufen.

In Verbindung mit separaten Evakuierungssystemen schützen sie den Raum der Strahlerzeugung vakuumseitig weitestgehend vor den rauen Bedingungen im Schmelz- oder Verdampfungsbereich.

 

Eine weitere Steigerung der Zuverlässigkeit und Leistung konnte durch die Verwendung von indirekt geheizten Wolfram-Emittern erreicht werden. Dabei wird die eigentliche Großflächen-Kathode durch das rückseitige Elektronen-Bombardement aus einem fadenförmigen Wolfram-Emitter geheizt. Dies führt zu einer gut kontrollierbaren und stabilen Emissionstemperatur.


Von Anfang an wurde dabei die Raumladung vor der Kathode als emissionsbegrenzender Faktor genutzt. Dies sorgte für die nötige Stabilität der Strahlleistung und Strahlqualität gegenüber Schwankungen der Emissionstemperatur oder Alterung der Kathoden.

 

Auf dieser Basis wurde bereits 1959 im damaligen Forschungsinstitut Manfred von Ardenne (IvA) der erste Elektronenstrahl-Mehrkammerofen Pilotmaßstab mit einer Strahlleistung von 45 kW zum Schmelzen von Stahl entwickelt. Die starke Nachfrage seitens der Metallurgie führte zur Entwicklung weit leistungsfähigerer Elektronenstrahlkanonen. So wurden im IvA in der Mitte der 1960er Jahre bereits Elektronenstrahlkanonen mit einer Strahlleistung von 1200 kW für metallurgische Zwecke hergestellt.

Elektronenstrahlkanonen dieser ersten Generation hatten aufgrund ihrer auf Hochspannungspotenzial liegenden, direkt wassergekühlten Kathodensysteme und der dafür erforderlichen Isolatoren einen noch recht klobigen Aufbau. Dies war notwendig, da für die Strahlqualität die thermische Stabilität des Kathodensystems von großer Bedeutung ist und die Wärme, insbesondere bei den Hochleistungskanonen von 1,2 MW auf diese Weise abgeführt werden musste.

 

Hinzu kommt, dass zu dieser Zeit nur Öldiffusionspumpen für die erforderliche Hochvakuumerzeugung zur Verfügung standen, die über winkelförmige Rohrstücke montiert werden konnten. In Verbindung mit dem dominierenden Design der Isolatoren wurden diese Elektronenstrahlkanonen der ersten Generation auch liebevoll als Weihnachtsengel bezeichnet.

 

Trotz der Nachteile waren diese im Bereich des Schmelzens von refraktären Metallen und zum Aluminium-Verdampfen eingesetzten Kanonen mit ihren Leistungsklassen zwischen 60 kW und 1200 kW sehr robust. Einige davon sind sogar noch heute im Einsatz.

 

Die Zunahme der Anwendungsbereiche, aber auch Anforderungen nach verschiedenen Einbaulagen und Vereinfachung der Wartung führte zur Entwicklung der 2. Generation von Elektronenstrahlkanonen mit mehreren, nachfolgend beschriebenen, grundlegenden Veränderungen[MN1] .

 

Durch die Veränderung der elektrischen Potenziale im Kathodenheizsystem konnte die Heizleistung auf ein Drittel gesenkt werden. Das hatte zur Folge, dass eine Wasserkühlung nicht mehr notwendig war und das drastisch in Größe und Gewicht reduzierte Kathodensystem nunmehr im auf Erdpotenzial liegenden Kanonenkopf verschwinden konnte.

 

Eine weitere wichtige Neuerung betraf die Leistungssteuerung. Wurden die Kanonen der ersten Generation noch über die Änderung der

 

Suche